Dachstein-Dogtrekking • 10. – 12. Juni 2016 • Tag 2 • Den ersten Teil verpasst? Kein Problem. Hier geht´s lang. Man kann diesen “2. Teil” aber auch ohne Vorwissen kapieren.


Samstag, der Tag der langen Kante.

“Na? Auch prima geschlafen?”

“Nö.”

Die Biwakhütte kann nichts dafür. Auch der unruhige Schäferhund in der Economy-Class (Erdgeschoss) konnte mich nicht erschüttern. Es war einzig und allein mein Kosmonautenschlafsack aus überirdisch leichtem Material mit unterirdischem Komfort, welcher mich nicht zur Ruhe kommen ließ.

Selbst optisch war er eine Katastrophe – Ich sah aus wie ein Dürüm!

Und bevor jemand fragt: Nein, selbstverständlich gibt es davon keine Fotos.

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Wie heiße ich gleich nochmal? Auf welchen Namen hört mein Hund? Wo bin ich überhaupt? Ah ja, es fällt mir wie Alufolie von den schuppigen Augen: Ich bin mittendrin im Dachstein Dogtrekking und heute steht die längste Kante dieses Abenteuers auf dem Plan.

Zerknittert mache ich mich auf den Weg zur Hütte, um mich mit 4 Tassen Kaffee glatt zu bügeln und Instruktionen für den heutigen Tag zu tanken.

Etwa 40 alpine Kilometer sollen bewältigt werden und vermutlich sogar mehr, sobald man Wanderkarten falsch interpretiert. Sowas soll ja in den besten Familien vorkommen, habe ich gehört.

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Wasser, Riegel und 8 (in Worten: acht!) Karten-Seite, auf denen der Streckenverlauf eingezeichnet ist, liegen bereit.

Wie es um mein Verhältnis zu Wanderkarten steht? Ein Erklärungsversuch: Man hätte mir den Weg auch auf Seiten eines Strickmuster-Buchs aufmalen können.

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Auf – und ab – geht´s!

Hügelig ist das Hochplateau des Dachstein-Gebirges. Es gibt Wander-Autobahnen (breite Wege) und spritzige Kletter-Einheiten, rennbare Single-Trails und knietiefe Schnee-Passagen. Wir geben uns das volle Programm.

Udo notiert sich unsere Startzeit und schon geht´s los!

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Bereits nach wenigen 100 Metern eröffnet sich uns das volle Dachstein-Panorama.

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Kasimir erklärt mir die Bergwelt. Wenigstens einer, der hier einen Plan hat.

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Das erste Zwischenziel der heutigen Tour, die Gjaid Alm, ist schon bald in Sichtweite.

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Beim Dachstein-Dogtrekking gibt es keine bemannten Kontrollstellen. Diese wurden gewerkschaftsfeindlich von Selfies mit den entsprechenden Hintergrundmotiven (hier mit Gjaid Alm) weg rationalisiert.

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Jetzt ist es Zeit für´s zweite Frühstück! Jedenfalls für Kasimir, er bekommt sein Gute-Laune-Jausenwürstel. Für mich gibt´s einen veganen Affen. Sehr lecker!

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Frisch gestärkt geht es im flotten Jogg-Tempo weiter über die alpinen Trails.

Im Dachstein-Gebirge verlaufen viele Wasseradern leider unterirdisch. Ich freue mich über jede Quelle mit Tageslicht und tanke dort meine Vorräte auf.

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Der Weg ist breit und relativ unspektakulär. Aber das soll sich noch früh genug ändern.

Grafenbergalm ist jetzt the Number of the Beast. Und wer in der Unterstandshütte einzieht, der ist vermutlich der Neighbour of the Beast.

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Immer dann, wenn sich Höhenmeter beeindruckend summieren oder wenn der bereits zurückgelegte Weg eine stattliche Anzahl an Kilometern aufweist, fange ich an, Fotos von Motiven zu machen, für die mir zu Beginn der Tagesetappe nicht im Traum ein Stopp in den Sinn gekommen wäre.

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Das Dachstein-Gebirge ist sehr weitläufig, das bedeutet, es bietet herrliche Wander- und Verirr-Möglichkeiten.

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Unser Weg wird immer wieder von neckischen Schneefeldern durchkreuzt.

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Die Aussicht ist gigantisch, die Wolken hängen schwer von der Decke. Hoffentlich bleibt es trocken. Der Wetterbericht hat zwar gegenteiliges behauptet, doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Und sie wird sterben.

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Unterhaltung on tour bieten zahlreiche Informationstafeln, welche aufgrund ihrer Interaktions-Aufforderung eine Prise von Überraschungsei-Feeling aufkommen lassen.

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Wir müssen hoch hinauf und die Schneefelder werden länger.

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So langsam werden wir warm. Irgendwo da vorne ist auch schon das Gipfelkreuz in Sicht.

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…Moment. Gipfelkreuz? Das ist in meinem Strickmusterbuch doch gar nicht eingezeichnet!

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Wo bin ich eigentlich? Ich ziehe das Gipfelbuch aus dem Kasten und bin schon sehr auf die Antwort gespannt!

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Aha. Heilbronner Kreuz. Noch nie gehört. Aber ich habe Glück – es ist wenigstens noch auf meiner Karte eingezeichnet, zwar außerhalb der Ideallinie, aber immerhin. Schlimmer ginge immer.

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Ich versuche, die Tatsache, dass außer mir kein anderer der Dogtrekker diesen Berg heute besteigen wird, mir als etwas positives zu verkaufen, was aufgrund der zusätzlichen Höhenmetern gar nicht so einfach ist.

Wie heisst es doch so schön?

“Follow what you feel – you alone decide what’s real.” (Lou Barlow)

Dann laufe ich den exakt gleichen Weg wieder zurück, vorsichtshalber, denn ich habe mal gelernt, dass Alternativrouten, “potentielle Abkürzungen” zurück zum Trail, in fatalen Streckenverlängerungen enden können.

Diese Überlegung war das Glück für Claudia und Michael, welche ebenfalls die gleiche Abzweigung verpasst hatten wir ich. Meine Aussage “Der Weg ist falsch, aber die Aussicht ganz hübsch.” lassen Claudia und Michael aber kalt; sie gehen nicht weiter auf´s Heilbronner Kreuz.

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Okay, das Schild “Grafenbergalm” war nicht sonderlich groß, aber eindeutig, wie ich zugeben muss.

Wir biegen auf einen schmalen, nicht immer leicht zu laufenden Pfad ein.

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Der Schnee ist zu Beginn noch sehr präsent. Meine IceBug, mit denen ich beim ESDT eher durchwachsene Erfahrungen gemacht habe, sind hier Gold wert. Hervorragender Grip, unverfälschter Bodenkontakt, so machen flotte Schnee-Trails Spaß.

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Etwa jeder 3. Stein wurde in Pommes-Schranke-Farben markiert. Man hat an mich gedacht, so mag ich das.

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Es beginnt zu regnen. Endlich kann ich meine neue Regenjacke testen.

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Der Himmel verfinstert sich. Ich muss an Anja und Caros Bericht vom letzjährigen Dachstein-Dogtrekking denken, wo sie von Hagel und Gewitter überrascht wurden.

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Schnee stapfen macht hungrig.

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Kilometerlanges, wunderschön unwegsames Gelände liegt vor uns.

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Die Schuhe machen auch auf nassen Felsen eine gute Figur.

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Kasimir hätte es jetzt gerne trocken, aber das Dogtrekking-Hundeleben ist nunmal kein Wunschkonzert.

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Meine Regenjacke hält, was die Verkäuferin versprochen hat. Ihr Glück.

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Wir nähern uns der Alm. Jetzt muss nur noch eine Weidefläche überquert werden, welche glücklicherweise derzeit unbewohnt ist. Das Verhältnis von Kasimir zu Kühen wird ein anderes mal auf die Probe gestellt werden.

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Wir sind da und haben es schwarz auf weiss bzw. Nagel auf Holz.

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Selfie with the dead.

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Wir ziehen an der roten Wand vorbei, welche auch tatsächlich rot ist. Leider habe ich jetzt das Foto gerade nicht vorliegen, ihr müsst mir auch so glauben.

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Ob wir jetzt richtig sind, kann ich nicht mit 100%iger Sicherheit sagen, aber der Tag ist ja noch jung.

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So langsam beginne ich, die Bergwelt auch bei schlechtem Wetter zu schätzen. Eigentlich ist man viel zu selten bei Regen in höheren Regionen unterwegs.

Das Wasser ist mir ausgegangen und ich esse so viel Schnee, bis mir mein Magen sagt “Bis hier hin und nicht weiter”. Manchmal muss man seinem Magen sagen wer hier der Chef ist, aber nicht heute und nicht so weit abseits von jeder Sanitäranlage.

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Hurra! Anja, Caro und Alex kommen mir entgegen! Ein gutes Zeichen! Ich freue mich sehr, dass ich auf dem richtigen Weg bin! Das ist wie ein kleiner Lotto-Gewinn.

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Kurz darauf kommen auch schon Tanja und Bibi, die Erste!

Zur Erklärung: Man konnte die Strecke im oder gegen den Uhrzeigersinn laufen, das ist egal. Ich habe mich, im Gegensatz zu den meisten anderen, für “im Uhrzeigersinn” entschieden. Somit findet jetzt bei etwa Halbzeit das große Happening statt.

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Man, hier ist ganz schon was los! Bin ich auf dem Dachsteiner Stachus? Ich fühle mich fast schon ein wenig over-socialized.

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Doch dann geht es einsam über geröllige Dünen weiter.

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Wir latschen durch Latschen.

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Meine Mutter hat mir mal ein Kinderbuch geschenkt, das vom Dachstein handelte. Es ging um einen Hund, der Wanderern das Leben rettete.

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Mein Hund hätte hier andere Interessen.

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Den Hügeln nach sind wir jetzt im Teletubby-Land, steht aber so nicht auf meiner Karte und Tinky-Winky lässt sich auch nicht blicken.

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Unter uns: Der schöne Silberkarsee.

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An dessen Ufer wird die letzte Jausenstange der Packung genüsslich verdrückt.

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Wir genießen die letzten Höhenmeter-armen Meter vor dem Aufstieg.

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Und täglich pfeift das Murmeltier.

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Ganz schön steil hier! Ruckzuck ist der Silberkarsee weit nach unten gerutscht.

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Im Hunde-Tetris bin ich ziemlich gut.

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Der Regen verwandelt sich zu Schneeregen, was ihn auch nicht besser macht.

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Gut, dass wir die Runde im, die meisten anderen Teilnehmer gegen den Uhrzeigersinn machen. Somit haben wir jetzt die Schneespuren unserer Vorgänger zur leichteren Orientierung.

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Dass wir uns dabei auch an deren Fehlern orientieren, schiebe ich jetzt mal dezent bei Seite.

Witzige Anekdote: Alex verlor seine Wanderkarte etwas abseits der offiziellen, markierten Strecke. Aufgrund meiner Schneespur-Verfolgungs-Methode konnte ich sie dennoch finden. Das war gut so, denn meine Karte war mittlerweile aufgrund des Regens zu Pappmache mutiert.

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Wasser! In flüssiger Form! Oh wie schön!

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Die Wandermulden sind entweder voller Schnee oder Wasser.

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Ich bin klatschnass aber relativ gut drauf.

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Was das “klatschnass” betrifft ist Kasimir mit mir einer Meinung.

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Wir höppeln durch die Pfützen bis zur Zielgeraden.

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Geschafft! Klatschnass aber gut gelaunt erreichen wir nach 11 Stunden wieder unser Basecamp.

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Nur wenige Minuten später tauchen auch schon Anja, Caro, Tanja und Alex auf.

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Deren Tricks, um die nassen Klamotten zu trocknen, setze ich als verweichlichter Wessi nicht um. “Lass sie an, bis sie wieder trocken sind.” Hardcore.

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Anja hat Mitleid und gibt mir ihren Zweit-Schlafsack. Im Gegenzug gewähre ich der Bande aus LE Asyl in meinem Königreich. Kasimir ist entsetzt! Er soll sein Reich mit 3 anderen Hunden teilen?

Anja schläft gern bei offenem Fenster, um ein wenig Outdoor-Feeling in die Bude zu kommen. Auch für den Geruchsfaktor ist das eine lobenswerte Maßnahme. Ich tu so als wäre es auch in meinem Sinn und schlafe ein.

Gegen 4 Uhr werde ich wach, weil sich eine meterdicke Eis-Schicht auf meinem Gesicht breit gemacht hat. Kasimir drückt sich schlotternd an mich und ich mich an ihn. Wir liegen direkt unter dem offenen Fenster, eine steife Grönlandbrise weht über unsere Nasen hinweg. Anja hat sich derweil schon längst in eine warme Ecke zurückgezogen und ist komplett im Schlafsack eingemummelt. Na prima. Ich schließe das Fenster und versuche, noch ein wenig Schlaf zu tanken.

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Dogtrekking ist nichts für Warmduscher, jedenfalls nicht in der Biwakier-Edition. Udo hat mal gesagt, er wäre kein Warm- sondern ein bekennender Heißduscher. Ich versuche, mich an das Gefühl von Wärme zu erinnern und schließe die Augen. Schon bald geht es ja an die dritte und finale Etappe des Dachstein-Dogtrekkings. Gute Nacht – oder was davon noch übrig ist.

Fortsetzung folgt.

 

Die Dachstein Dogtrekking 2016 – Trilogie im Überblick


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