Was für ein Mist! Jetzt sitze ich hier und könnte mich sonst wohin beißen. An Stellen, welche man trotz besten Dehnübungen nicht erreichen würde. Warum? Nun, derzeit schwirren sie alle im Pfälzerwald beim Dogtrekking im schönen Dahner Felsenland herum, die Dogtrekker dieser Welt. Und was mache ich? Ich kuriere meine Erkältung aus. Zu 100 Prozent indoor. Das ist nicht fair!

Aber weinen bringt einen bekanntlich auch nicht weiter. Was soll ich stattdessen tun? Das Beste daraus zu machen ist immer einfacher gesagt als getan. Schokolade essen? Okay, das bekomme ich halbwegs hin. Aber das ist auch keine abendfüllende Beschäftigung. Dann schreibe ich jetzt eben meinen Bericht über die letzte lange Trainingseinheit, welche ich für das Pfälzerwald Dogtrekking absolviert hatte. Das war bei der dritten Auflage des Schweizer Dogtrekkings vom 11. bis 13. Oktober 2019, denn das beste Training für ein Dogtrekking ist immer ein Dogtrekking. Hier die Story, viel Vergnügen.

It´s been a hard days night (and day)

Es ist Freitag, der 11te. Mein Wecker klingelt um 8 Uhr. In gut 12 Stunden möchte ich beim Schweizer Dogtrekking auf die sogenannte “Freakshow” starten. Freakshow steht hierbei für die extra Portion Spaß, welche man sich gönnt, um die Gewissheit zu haben, dass sich der lange und komplizierte – darauf komme ich nachher noch zu sprechen – Anfahrtsweg auch lohnt.

Doch zuerst ist der übliche Wahnsinn eines normalen Arbeitstages abzuarbeiten. Energien, welche dabei durch Hektik, Stress oder Reizen am Nervenkostüm entstehen, sollten keinesfalls sofort wieder entladen, sondern für einen späteren Zeitpunkt abgespeichert werden. Ich werde die nächsten etwa 36 Stunden keine Zeit haben, ein Auge zuzumachen und die Erinnerung an ein Erlebnis aus dem zurückliegenden Arbeitsalltag, welches meinen Puls kurzfristig erhöht oder sich in einem herzhaften Schrei entlädt, kann mir daher später auf der Freak-Tour noch wertvolle, weil wach haltende Dienste leisten.

Zelt, Schlafsack, Laufrucksack, Essen und so weiter hatte ich glücklicherweise schon am Vortag zusammen gepackt. Es ist Freitag, 14.30 Uhr, vorzeitiger Feierabend und ich mache mich auf den Weg, um meine Dogtrekking-Affäre des bevorstehenden Wochenendes abzuholen. Der USB-Stick ist mit Schweizer Volksmusik geladen, um uns zu akklimatisieren und positiv auf das bevorstehende Abenteuer einzustimmen.

Positive Gedanken sind auch wichtig, um den Humor nicht zu verlieren, wenn man total vertomtomt über die Straßen Richtung Schweiz irrt. Unser Ziel ist Saland und das hatte ich meinem Navi auch so erklärt. Doch um dort hinzukommen gibt es verschiedene Möglichkeiten. Alle Wege führen nach Saland, auch die über´s Wasser. Wir landen zuerst mal am Bodensee-Ufer, an der Einfahrt zu einer Hafenfähre. Nachdem wir diesen Irrtum korrigiert haben, folgt ein sensationelles Sightseeing über unbefestigte und verständlicherweise hauptsächlich von Radfahrern verwendete Straßen durch diverse Streuobstwiesen. Auch schön! Erinnerungen an meine Odyssee vor zwei Jahren werden wach, als ich damals ganz unbedarft meinen Hinweg über Lindau legte. Woher sollte ich ahnen, dass es in der Schweiz ebenfalls einen kleinen Ort namens Lindau gibt? Die Fahrt wurde zu einem Memoryspiel, das ich schlussendlich gewann.

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, Das Schweizer Dogtrekking in Saland mit dem mysteriösen Untertitel “Operation Checkpoint”.

Operation gelungen, Patient tot? Nein, der Dogtrekker trekkt noch.

Es ist bereits 20 Uhr und stockdunkel. Natürlich bin ich erstmal an der Einfahrt zum Campingplatz, unserem Ziel, vorbei gefahren und muss quasi in der Zielgeraden nochmal wenden. Aber darauf kommt´s jetzt auch nicht mehr an. Wir sind da, jetzt ab zum Socializing, denn es schwirren schon einige bekannte Gesichter herum – und manche sind sogar schon wieder weg, also bereits auf ihrem Weg zum Operations-Saal. Denn diesmal wird an jedem Checkpoint operiert. Das bedeutet, dass man an den Kontrollstellen den Hinweis erhält, wo der nächste Checkpoint zu finden ist.

Ich werfe mein Zelt in die Luft – es ist ein Wurfzelt – und fixiere es mit einer Hand voll Heringen genau dort, wo es gelandet ist. Fertig ist die Sause. Jetzt schnell den Kübel mit Couscous-Salat raus und einen möglichst großen Löffel dazu. Dann noch 3 Bier unter den Arm klemmen (alle alkoholfrei, ehrlich!), um den bröseligen Kram runterzuspülen. Bereits nach wenigen Minuten ist alles vernichtet, denn wer weiß, wann ich das nächste Mal wieder was zu essen und zu trinken bekommen werde.

Jasmin erklärt uns, wie die Strecke verläuft, damit wir uns weniger verlaufen. Sie breitet dafür eine Faltkarte aus, deren Dimension einen erstmal erschlägt. Ich sehe große blaue Flecken (die sich später als Seen heraus stellten), viel grün und verdammt viele Linien. Auf der Freakshow soll ich nahezu jeden verdammten Winkel der Karte ablaufen. Na bravo. Das wäre selbst mit einem Auto ein Abenteuer. Aber gut, es sind nunmal 110 Kilometer und das zieht sich.

Eine Karte, welche man tatsächlich zu Fuß abgelaufen ist, ist anschließend nicht mehr dieselbe. Sie steckt voller Eindrücke, Erlebnisse und Geschichten.

Ich ziehe den Reissverschluss meines Laufrucksacks zu und stelle fest, dass dieser nicht das macht, was er machen soll. Die beiden Seiten greifen nicht ineinander, der Schieber geht leer durch! Jasmin grinst, aber ich meine dennoch, eine Prise von Mitleid in diesem Lächeln entdecken. Bin ich da zu sehr optimistisch? Nein. Sie reicht mir feierlich einen Strauß bunter Kabelbinder. Perfekt, denn Schnittblumen mag ich eh nicht.

Nach kurzem Posing vor der Sponsorenwand und einer letzten Sprachnachricht an die zuhause Hunde hütende Tina mache ich mich nun mit Kasimir auf den langen Weg. Es ist 22 Uhr.

Der Ort heißt Hinwil, obwohl ich da gar nicht hin will.

Martin kennt mich und gibt mir für einen gelungenen Start den entscheidenden Hinweis: Lauf erstmal flussaufwärts. Ich muss mich immer erst ein paar Kilometer eingrooven, dann klappt es mit der Orientierung ein bisschen besser. Danke, Martin – mein Freakflüsterer!

Unter einem Dogtrekking in der Schweiz stellen sich einige vielleicht ein lebensmüdes Unterfangen über Gletscherspalten und anderen hochalpinen Wahnsinn vor. Weit gefehlt. Hier im Züricher Land sind die Berggipfel gefahrlos und relativ schnell erreichbar. Die Wege sind zivilisiert und es gibt sogar einige asphaltierte Kilometer, was mir persönlich sehr entgegen kommt. Es ist eine Piste, so wie ich sie auch bei Trailrunning-Veranstaltungen zu schätzen weiß. Mein Hund Kasimir, auch die Stahlkralle genannt, schätzt diese Abwechslung ebenfalls. Außerdem ist er froh, wenn ich ein höheres Grundtempo hinlegen kann und wir somit auch wieder früher zurück sind.

Wir laufen auf flachem Terrain nach Bauma. Es ist relativ mild und ich hätte auf Guidos Tipp, meine Laufhandschuhe nicht mitzunehmen, hören sollen. Außerdem habe ich noch eine Wind- und eine dünne Regenjacke im Gepäck. Vermutlich hätte ich auch hier um 100 oder 200 Gramm reduzieren können.

Kurz vor Bauma geht es nach links zu einer Burg oder deren Ruine hoch. Die ersten Tropfen fallen von meiner Stirn und es sind keine Regentropfen. Wir machen ein Foto und schon geht es über einen kleinen Pfad und ein paar Treppchen wieder nach unten. Wir überqueren die Töss und laufen ein Stück weit weiter flussaufwärts, während wir die Industrieromantik zu später Stunde genießen. Dann geht es rechts durch den Ort und das ist für mich orientierungsmäßig immer eine große Herausforderung. Lieber stehe ich im Wald und habe alle paar hundert Meter eine verzwickte Weggabelung als einen Ort, den ich auf der anderen Seite an der richtigen Stelle wieder verlassen soll. Hier werde ich mir erstmals meiner treuen Begleiter bewusst, über deren Anblick ich mich im Lauf der Tour noch des öfteren sehr freuen werde. Es sind gelbe Rauten; die Kennzeichnungen eines Wanderwegs, auch wenn er mal einen Ort durchquert.

Wasser gibt es in Hülle und Fülle, jedenfalls für Kasimir. Ich bin sehr gespannt, wie es um meinen Wasservorrat bestellt sein wird. Hier wurde ich aber von Jasmin und Martin beruhigt: Es gibt sogar einen Checkpoint, der mit Trinkwasser ausgestattet ist. Das erhöht natürlich die Motivation, diesen auch zu finden.

Der erste Checkpoint ist der einzige, welcher in der Karte bereits eingezeichnet war. Und irgendwann  steht er auch einsam und verlassen am rechten Wegrand. Als Beweis mache ich ein Foto und um mein Kurzzeitgedächtnis nicht unnötig zu belasten, fotografiere ich auch noch die Rückseite des Checkpoint-Schildes mit dem Hinweis, wo ich den nächsten Checkpoint zu finden habe. Er ist auf einem Hügel namens Bachtel.

Jetzt geht es erstmal auf schmalen Pfaden und Treppen nach oben. Wir fallen dennoch immer wieder in den Laufschritt. Irgendwann bleibe ich aber stehen, weil das Geplätscher neben dem Weg deutlich an Lautstärke zugenommen hat. Oh, das ist ja ein großer Wasserfall! Wie heißt es so schon: In der Nacht sind alle Trails grau, auch die besonders schönen.

Jasmin meinte zuvor, dass ich auf dem Bachtel schonmal war, als ich vor zwei Jahren beim Schweizer Dogtrekking mitspielte. In solchen Situationen weiß ich mein löchriges Gedächtnis sehr zu schätzen: Ich kann selbst mir bekannte Gegenden immer wieder neu entdecken!

Auf dem Weg zum Bachtel kommen mir aber tatsächlich diese geteerten Zubringerstraßen irgendwie bekannt vor. Hier bin ich wohl tatsächlich schon einmal nachts herum gestolpert.

An einem Waldrand entdecke ich im Gebüsch einen Luftballon, welcher sich im Rahmen einer Hochzeit auf den Weg beziehungsweise auf den Flug machte. An ihm hing eine Postkarte, welche dem Brautpaar eine Einladung zu einem romantischen Nachtmahl verspricht, sollte die Postkarte zurück geschickt werden. Das mache ich doch glatt! Die Überreste des rosanen (brrrr) Luftballons stecke ich ein und werde sie, ganz vorbildlich, entsorgen. Als Dogtrekker sollte man die Natur so hinterlassen, wie man sie vorgefunden hat. Und falls die Möglichkeit zu einem Upgrade besteht: Schlag zu!

Der Aufstieg zum Bachtel ist ein gutes Warmup zu vormitternächtlicher Stunde. Oben am Sendemast angekommen (Hier soll ich schonmal gewesen sein? Ich weiß von nichts. Cool!) checke ich den Checkpoint, während Kasimir sich am Brunnen versorgt.  Jetzt wird es mir doch ein bisschen frisch und wir machen uns zügig auf den Abstieg. Das ist nicht ganz einfach, weil viele Wege zu Orten führen, die ich nicht wirklich sehen muss. Hinwil zum Beispiel. Was für ein dämlicher Name.

Im Grunde genommen will ich doch erstmal lediglich nach Bäretswil, aber den Weg dorthin zu finden, welcher exakt der roten Linie auf der Karte entspricht, ist mit meinem mangelhaften Orientierungstalent kaum machbar. Ich lande in Orten, die sich mal links, mal rechts der Ideallinie befinden und meist über irgendwelche, glücklicherweise wenig befahrenen, Straßen führen. Das macht uns nichts aus, im Gegenteil, so ein flotter Laufschritt zur Geisterstunde lockert die Muskulatur ungemein.

Irgendwann erreichen wir Bäretswil, um festzustellen, dass wir gar nicht so weit in den Ort hätten hineinlaufen müssen. Also wieder zurück und hinunter in den Tobel. Das Wort Tobel war mir vor dem Schweizer Dogtrekking noch gar nicht so geläufig. Hier wird es fast schon inflationär für alles, was auch nur im Ansatz nach einer Schlucht aussieht, verwendet. Hier ist unser nächster Checkpoint.

Nackt im Herbstwind

Ein wunderbarer und leicht zu berennender Singletrail führt uns an einem Bach entlang und über zig Brücken nach Wetzikon. Und da ist es wieder, das Problem der Orientierung durch enge Gassen und weitläufige Straßen. Wir kommen an eine große Hauptstraße, an die wir eigentlich nicht kommen sollten. Egal, vor bis zum Kreisverkehr, rechts, dann gleich wieder links. Bingo. Gelbe Raute, ich liebe dich!

Das Naturschutzgebiet des Pfäffikersees ist flach und einige Grad kühler als die Stadt. Wir legen einen Zahn zu, um nicht anhalten und eine Jacke aus dem Rucksack ziehen zu müssen. Bewegung hält warm. Next stop: Checkpoint. Geschafft. Wir sollen weiter zum Greifensee, dort wartet die nächste Info auf uns. Auf geht´s.

Runter zur Hauptstraße, auf der anderen Seite wieder hoch, dann haben wir auch bald den nächsten Checkpoint im Sack. So nennt sich jedenfalls der Ort hier.

Wir schleichen um belanglose Felder und Kuhweiden. Die Kühe sind übrigens meist auf der richtigen Seite, womit ich sagen will, dass zwischen ihnen und uns ein Elektrozaun verläuft.

An einem kleinen Waldstück halte ich kurz an. Ich habe eine Idee. Laut Karte komme ich hier auf meinem Rückweg wieder vorbei. Wenn ich meinen Laufrucksack von unnötiger Last befreien will – jetzt oder nie! Raus mit dem Kram: Windjacke? Ist was für Warmduscher. Regenjacke? Wir haben genügend Sonne im Herzen. Dazu noch meine Handschuhe und etwas Kleinkram, alles zu einem Bündel verschnürt und im Wald versteckt. Sich von Dingen trennen befreit den Geist. Der Rucksack ist mindestens 300 Gramm leichter und wir fliegen nur so über den Feldweg. Das Leben ist schön, wenn man es sich leicht macht.

Hoi! Da kommt mir doch tatsächlich jemand mit Stirnlampe und zwei Hunden entgegen. Es ist Viviane. Sie ist bereits am Freitag früh gestartet, jetzt auf dem Rückweg und macht dabei einen sehr fitten Eindruck, obwohl sie noch keine Sekunde geschlafen hat. Respekt! Wir wünschen uns gegenseitig weiterhin eine gute Reise und jeder zieht seines Weges. Ich mag diese kurzen, irgendwie surrealistisch anmutenden Begegnungen, sehr.

Wir überqueren eine Straße und links ist relativ unscheinbar ein Checkpoint aufgebaut. Jetzt schon? Ja bin ich denn hier schon am Greifensee? Ich bin verwirrt, packe meine Karte aus und versuche, das nächste Ziel, welches mir hier vorgegeben wird, zu deuten. Aha. Ich habe keinen Schimmer, was die hier von mir wollen. Da ist von irgendetwas in der Nähe von Uster, was wohl eine Stadt sein soll, die Rede. Ich bin verwirrt und greife zum Notnagel, nein, noch besser, zum Telefon. Doch wen soll ich zu einer solch selbst für einen Atheisten unchristlicher Uhrzeit anrufen? Martin oder Jasmin? Die Entscheidung fällt mir nicht leicht, aber nach einer entsprechenden Bedenkzeit von etwa 0,2 Sekunden tippe ich Jasmins Nummer ein. Sie klingt relativ ausgeschlafen. Schade, haha.

“Du willst wissen, wo Uster ist?” Sie klingt etwas ungläubig, denn Uster ist vermutlich die mit Abstand größte Stadt auf dem ganzen verdammten Faltplan. Ein fetter schwarzer Fleck am rechten Greifensee-Ufer. Ups.

Doch warum soll ich jetzt da rüber? Ich versteh nur Bahnhof äh Uster. Martin schnappt sich den Hörer – er hat eine Idee. “Bist du etwa schon auf dem Rückweg?” werde ich gefragt. Ja ist klar. Bin ich Superman? Habe ich einen sch*** Umhang und fliege blöd in der Gegend herum? Ach so, ich befinde mich hier an einem Checkpoint, der für den Rückweg gedacht ist. Meine Aufgabe ist und bleibt es, weiter Richtung Greifensee zu laufen. Okay, klingt ja irgendwie logisch, wenn man ein bisschen drüber nachdenkt. Aber ey, es ist halb fünf Uhr morgens und da ist Logik schon aus biorhythmischen Gründen absolute Mangelware.

Die Klarheiten sind beseitigt, ich lege auf, packe die Karte zusammen und merke, wie die frühmorgendliche Kälte in meinem verschwitzten Körper Einzug hält. Meine Finger spüre ich auch nicht mehr.

Kein Problem, ich greife zum Rucksack, hole meine Windjacke und … VERDAMMT! Ich habe den ganzen Mist ja im Wald temporär entsorgt! Sogar meine keine 100 Gramm leichte Jacke! Oh nein – wie sinnfrei! Was jetzt? Vor Frust mit dem Kopf gegen den Boden schlagen? Gerne, wenn ich wüsste, dass es mir dadurch wieder wärmer wird.

Es hilft alles nichts. Mühsam krabble ich vom Boden wieder auf, versuche vorsichtig, meine eingefrorenen Gelenke zu bewegen und mache mich fluchend auf den Weg. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis mein Laufschritt wieder halbwegs rund aussieht. Der Wind, welcher mich eiskalt im Sumpfgebiet südlich des Greifensees erwischt, motiviert mich, noch einen Zahn zuzulegen. Kasimir drückt dafür den Gefällt-Mir-Button. Bald schon erreichen wir unsere, die “richtige” Kontrollstelle. Sogar ein Kanister mit Trinkwasser steht bereit! Toll.

Wir machen uns weiter auf den Weg Richtung Süden. Es geht in ein Waldstück hinein und man kann am Licht erahnen, dass sich die Nacht ihrem Ende neigt. Ich freue mich darauf, wenn mich der Wald wieder ausspuckt und den Blick auf das Alpenpanorama im Morgenlicht frei gibt.

Hügelig geht es durch die Wälder, vorbei an Höfen, über Feldwege und Pfade. Eine Reiterin kommt mir entgegen. Ansonsten fühlre ich mich relativ allein auf diesem Planeten. Es ist wärmer geworden. Kasimir und ich beschließen, eine kurze Frühstückspause einzulegen. Für ihn gibt es AlpenHund, für mich irgendwelche Riegel, die ich in der Schütte unseres Supermarkts gefunden hatte, weil deren Haltbarkeitsdatum näher rückte. Sie schmecken widerlich. Sind das wirklich Powerriegel oder wurde hier etwas abgefüllt, was eigentlich in den Baumarkt, in die Abteilung Baustoffe, gehört hätte? Auch von der Konsistenz her wäre das passend. Ich schau zur Ablenkung auf mein Handy und entdecke die Nachrichten von Vorabend. “Wir sind beim Essen beim Griechen, total lecker!” Ja, danke auch. Ich spüle die Baustoffkrümel, welche in meinen Zahnlücken Schutz vor der sicheren Verdauung suchten, mit einem kräftigen Schluck aus der Wasserflasche herunter. Es geht weiter. Muss ja.

Ich hab kein knallrotes Gummiboot

Nach einem wunderschönen Trail an einem lustig dahinplätschernden Bächlein (Kasimir kann Wasser schon nicht mehr sehen – was für ein großartiges Luxusproblem) erreiche ich den nächsten Checkpoint, den wir fast schon im Laufschritt einsacken. Der Baustoff scheint zu wirken. Es geht weiter am Bach entlang, Richtung Küsnacht. Küsnacht! Eine Schweizer Stadt mit Tradition. Hier gab es Ende der 80er eine lebhafte Noisecore-Szene. Doch das ist jetzt nicht das Thema. Bei mir kommt langsam aber sicher Müdigkeit ins Spiel, was mich ja eigentlich nicht verwundern sollte. Unkonzentriertheit ist das Ergebnis. Ich verpasse mal hier, mal da eine Abzweigung. Aber das kann ich ja auch im wachen Zustand, also kein Grund zur Beunruhigung. Rund um Zollikerberg fällt es mir besonders schwer, wieder auf die richtige Spur zu kommen. Kasimir wundert sich – zu recht – warum ich immer wieder mal in einen Weg hinein- und nach einigen (hundert) Metern wieder zurück steche. Doch wir finden unseren Weg, soviel sei schonmal verraten.

Unzählige Abzweigungen später liegt er vor uns, das blaue Monster namens Greifensee. Ich soll jetzt links am Ufer entlang und das komplette Teil umrunden. Die Sprinter (hier: Dogtrekker) dürfen eine ruhige Kugel schieben und rechts wieder auf kürzestem Weg zurück rudern. Ich beneide die Dogtrekker. Und ich suche nach dem Stöpsel. Was muss ich tun, um von diesem verdammten Ding das Wasser abzulassen? Aber alles Gejammer hilft nichts. Ich habe zwar null Bock auf diese (Tor)Tour um den riesigen See herum, versuche mir aber dennoch, die positiven Aspekte vor Augen zu halten. Denn aus orientierungstechnischer Sicht ist der Weg um den See kein Freischwimmer, sondern maximal Seepferdchen, um beim Bild zu bleiben.

Während eines Motivationslochs mache ich eine kurze Pause und sehe, dass Jasmin versucht hat, mich anzurufen. Ich rufe zurück. “Wir kommen jetzt dann an deinen Lieblings-Checkpoint (sie meint den, welcher für meinen Rückweg gedacht ist und der mich auf dem Hinweg völlig aus der Spur gebracht hat, Anm. d. Red.). Brauchst du was zu trinken? Dann können wir es dort hinterlegen.” Cooles Angebot! Ich schlage zurück. “Ja, super, ich lasse mich überraschen, was eure Getränkekarte zu bieten hat, freu mich drauf!”. Die Antwort war sehr unkreativ, sowas wie Wasser, Wasser und vielleicht noch ein bisschen Leitungswasser. Aber das glaube ich erst, wenn ich es gesehen und erst recht, wenn ich es getrunken habe. Meine aktuellen Wasservorräte habe ich am Brunnen eines Bauernhofs abgefüllt und schmecken, naja, etwas eigenartig.

OMG, dieser verdammte See hört gar nicht mehr auf. Hier an der Strandpromenade tümmeln sich auch immer mehr Radfahrer, Fußgänger und – ganz übel – Hundebesitzer! Ich will weg hier. Eine gefühlte Ewigkeit später ist es dann endlich soweit und ich darf mich vom See entfernen. Der Checkpoint mit – hoffentlich – integrierter Bar rückt näher.

Endspurt zum Checkpoint. Vor mir liegt ein zotteliges, riesiges Stück (Jäger-Jargon) auf dem Weg, an welchem wir irgendwie vorbei müssen. Es stellt sich als Rentnerhund heraus, der sich nur ungern bewegt. Wir schleichen uns mit einigen Zentimetern Sicherheitsabstand an dem schlafenden Monster vorbei. Er hebt den Kopf. Und lässt ihn wieder fallen.

Da ist er, unser Checkpoint. Hurra. Die Information, wo ich als nächsten hin muss, steht jetzt erstmal auf Prio 2, denn ich sehe einen Kanister mit frischem Trinkwasser. Und zur Krönung sind noch zwei Flaschen mit leckerer, gut gekühlter Apfelsaftschorle. Boah, ich bin im Dogtrekking-Himmel gelandet.

Ich schnappe mir den Kanister, um meine Wasserflaschen aufzufüllen, doch – hui – da hängt noch was am Verschluss dran. Eine Kohlenhydratbombe namens Kirschwasser! Ab jetzt beginnt der Rock and Roll. Es gibt keinen Ausweg mehr.

Glücklicherweise habe ich, als ich meinen Rucksack erleichterte und den Kram im Wald versteckte, an dieser Stelle einige Sträucher umgeknickt und auf den Feldweg gelegt, damit ich nicht vergesse, die Sachen wieder einzuladen. Ich stolpere nun also im Kirschwasser-Rausch über das Geäst und in den Wald. Hinter einem Baum liegt mein Päckchen, unberührt und zum Glück auch nicht von einem Hund markiert. Oder schlimmeres. Ich belade meinen Rucksack, stopfe mir einen Riegel zwischen die Kiemen, gebe Kasimir seine wohlverdiente dritte Mahlzeit des Tages und weiter geht´s.

Die nächsten Meter Richtung “Sack” sind mir bereits vom nächtlichen Hinweg bekannt. Jetzt darf ich sie auch bei Tageslicht genießen. Angenehme Belanglosigkeit zwischen Kuhweiden und Feldern, leicht hügelig, technisch und optisch nicht der Rede wert. Erinnert mich an die Streckenführung der Bieler Nacht, meinem allerersten 100-Kilometer-Lauf, den ich in meinen besten Zeiten – jaja – in weniger als 10 Stunden durchrennen konnte. So schnell bin ich heute natürlich nicht und ich schiebe es ganz elegant auf den relativ schweren Selbstversorger-Rucksack, welchen man bei einer Laufveranstaltung, die alle paar Kilometer zur all-you-can-eat´n´drink-Party an üppigen Verpflegungsstellen einlädt, natürlich nicht benötigt.

Runter zur Hauptstraße, erneut die Fußgängerunterführung verpasst und beim mittlerweile lebhaften Straßenverkehr eine Autolücke ausnützen, um auf die andere Seite zu kommen. Dann geht es links auf einer gut besuchten, geteerten Straße nach oben. Die Vitamine des kirschhaltigen Getränks scheinen noch zu wirken und ich bin ständig auf der Überholspur. Oben angekommen geht es dann wieder deutlich einsamer durch den Wald, um irgendwann an einer Hauptstraße den Checkpoint anzulaufen. Hier stehen bereits ein paar Mountainbiker, welche rätseln, wofür dieser Checkpoint gut sein soll. Ich kläre sie auf und verkneife mir dabei zu erwähnen, dass wir bereits über 90 Kilometer unterwegs bin.

Es geht weiter zum Pfäffikersee, welcher mich nach meinen Erfahrungen mit dem Greifensee nicht mehr schocken kann. Ein bisschen auf der gut besuchten Uferpromenade flanieren, dann geht es schon zum Bahnhof. Die gelben Rauten führen uns zu den Gleisen und dahinter wieder hoch, um schließlich über einen kleinen Pfad in einer schönen, relativ naturbelassenen Gegend zu landen.

Endlich treffe auf einen Fotografen und wir setzen, ganz die Profis, unser schönstes Lächeln auf. Bin gespannt, ob ich die Fotos mal zu Gesicht bekomme. Wenige Meter später bekomme ich erstmals das Gefühl, mich bei einer Veranstaltung zu befinden, denn ich schließe auf andere Dogtrekker auf. Die meisten von ihnen machen die “Tour” und viele haben eine etwas lädierte Gangart. Die Hunde sehen im Gegensatz dazu noch recht fit aus. Ich treffe Nicole, die mit ihrem Jupp auf der zweitlängsten Distanz, dem Dogtrekking mit 84 Kilometern, unterwegs ist. Und das schon etwas länger, denn sie  hat sich die Strecke auf zwei Tagesdistanzen aufgeteilt, um das Wochenende so richtig schön auszunützen.

Es ist ihr erstes Dogtrekking und einem Finish kann jetzt eigentlich nichts mehr entgegen stehen. Obwohl … wenn wir ab jetzt gemeinsam Richtung Ziel gehen und sie sich an mein Orientierungstalent klammert, kann ich für nichts garantieren. Wir beide merken aber schnell, dass wir weniger Umwege mitnehmen, wenn wir uns an Nicoles Richtungsanweisungen halten. Ich bin zu diesem Zeitpunkt etwa 19 Stunden unterwegs und Karten lesen ist selbst in meinem ausgeschlafenen Zustand kein Selbstläufer. Nicht nachdenken, sondern in den Spuren von Nicole Richtung Ziel schlendern – ein Plan, der aufgeht.

Todesschreie aus der Nasszelle

Nur noch wenige Meter trennen uns jetzt von der imaginären Ziellinie, da überholt uns plötzlich Udo und macht dabei einen quickfidelen Eindruck. Seine beiden Hündinnen sowieso. Er kann das Zielbier schon riechen – Prost und bis gleich!

Gemeinsam mit Nicole und Jupp schlendern wir ins Ziel und werden freudestrahlend empfangen. Udo hat bereits das Bier geöffnet und reicht es mir rüber – perfektes Timing. Ich versorge Kasimir, der den Eindruck macht, als könnte er die Runde nochmal drehen. Insgesamt wurden es für uns 121,8 Kilometer, war bei einer offiziellen Streckenlänge von gut 110 Kilometern voll im Rahmen ist. Schlimmer geht immer.

Dani ist auch bereits glücklich vom Hike zurück und gönnt sich eine Portion Überbrückungsnudeln, bevor das leckere vegane Chili Sin Carne serviert wird. Sie drückt mir einen Schweizer Franken in die Hand, was einen zeitnahen Schrei, welcher aus der Männerdusche schallt, verhindert: Das Fränkli braucht man dort, um warmes Wasser zu bekommen.

Der Abend wird noch lange dafür genutzt, den Körper ausgiebig zu hydrieren. Eigentlich wollte ich irgendwann ins Bett, aber dann kam die Austria-Gang mit Zirbensaft. Auch Martin meint es gut mit mir und schenkt nochmal einen Hopfentee ein. Es war wohl so eine halbe Stunde vor Mitternacht, als ich mir eine Wärmflasche namens Kasimir schnappte und im Zelt verschwand, doch genaues weiß man nicht.

Wenige Stunden später sitzt die ganze Clique schon wieder beim Frühstück. Jeder legt seine Essensvorräte auf den Tisch und es wir munter herum probiert. Dani spendiert mir einen Kaffee, der jetzt unglaublich gut tut. Auch der zweite verfehlte die Wirkung nicht. Regina probiert Udos Spezialtee. “Was ist das?” Udo lächelt. Ich rate Regina, die Augen zu schließen und auf die Bilder zu warten. Ob diese bunt, konkret, abstrakt oder überhaupt anwesend waren kann ich leider nicht sagen.

Bei der Siegerehrung stellt sich heraus, dass viele Starter ihre Grenzen neu gesteckt haben. Dogtrekking ist spätestens 2019 in der Schweiz angekommen.

Der Aufwand, welcher hierfür von Jasmin und Martin betrieben wurde, war beeindruckend. Dogtrekking-Purismus spricht man auf Schwiizerdüütsch nunmal anders aus. Alle waren glücklich und Martins Schlafdefizit sollte mittlerweile auch wieder auskuriert sein. Ihr habt alles richtig gemacht.

Vielen Dank für das schöne Wochenende! Für uns geht es wieder nach Hause, mit vielen schönen Erlebnissen im Kopf und gut benutzten Laufschuhen, deren Geruchsradius dank sorgfältiger Verpackung so weit wie möglich reduziert wird.

Ich war diesmal sehr fotografierfaul, daher weisen meine Bilder eher experimentellen Charakter als landschaftliche Eindrücke auf. Ihr findet deutlich attraktivere Fotos und noch vieles mehr auf der Website der CHDT-Crew: dogtrekking-schweiz.ch