Zughundesport in Deutschland

Das Interview mit dem erfahrenen Musher Herbert Thinnes

Wer Gisela und Herbert Thinnes zu Hause besucht, findet in Nettetal Hinsbeck ein Blockhaus in ländlicher Abgeschiedenheit. Hier leben die Beiden zusammen mit ihren 25 Schlittenhunden. Große Freilaufanlagen mit altem Baumbestand grenzen an die Terrasse des Wohnhauses. Ein Leben mit vielen Hunden in einer Gemeinschaft, das ist wohl das Besondere bei Familie Thinnes.

Als wir auf der großen Terrasse in der Sonne Platz nehmen, werden auch die Hunde, die mich bellend begrüßt hatten, wieder ruhiger und lauschen der Stimme ihres Mushers. Ich freue mich auf ein Gespräch mit dem 63 jährigen Schlittenhundeführer Herbert Thinnes, der wohl zu den erfahrenen Musher in Deutschland gehört.

Wo beginnt die Geschichte von Dir und Deinen Schlittenhunden?
Alles hat mit unseren Schäferhunden angefangen, die ich mit meinem Vater gezüchtet und ausgebildet habe. Schon in der Jugend war die Hundearbeit mein schönster Zeitvertreib. Im Jahr 1973 bin ich mit meiner Ehefrau Gisela beruflich für 3 Jahre in die USA nach North Carolina gegangen.  Da haben wir beim Spazieren gehen zum ersten Mal, ein ursprünglichen nordamerikanischen Arbeitshund, einen Husky gesehen und waren auf der Stelle angetan von dem Wesen dieser wundervollen Hunde. Wir wollten mehr über Huskies erfahren und wendeten uns an die Huskyzüchterin Barbara J. Thompson. Sie hat uns in die Besonderheiten dieser Rasse und das Leben im Rudel eingewiesen. Schon bald hatte ich die Idee mit einem Gespann an einem Rennen in den USA teilzunehmen. Mit wenig Erfahrung und einem fremden Gespann durfte ich an den Start gehen. Das Rennen hatte das Feuer in mir entfacht und seit dem brenne ich für den Schlittenhunderennsport. Die Amerikaner zeigten sich sehr fair und ließen ausrufen, dass das Ziel nicht abgebaut werde bis der Deutsche im Ziel sei. Und ich kam ins Ziel. Barbara vermittelte uns einen Welpen, die Hundin bekam den Namen Tascha. Tascha war ein echter Glücksgriff, sie hatte sofort ein liebevolles aber bestimmtes  Auftreten mit Leithundcharakter.  Tascha stammt aus einem Kennel in Massachusetts USA. Sie konnten man nicht alleine lassen, sie war ihrem Rudel so verbunden, dass Türen und Wände kein Hindernis waren. Danach kauften wir den Husky Rüden Gamby aus einem Kennel aus Mittelamerika  sowie Nicky direkt aus der Zucht von Barbara J. Thompson. Wir sind also 1976 mit Tascha und zwei Rüden nach Nettetal-Hinsbeck zurückgekehrt.

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Wo hast du deine ersten Schlittenhunderennen gefahren?
Mit den Hunden von Barbara J. Thompson haben wir schon Rennen in New Hampshire USA  gefahren. Zurück in Deutschland suchten wir sofort nach einer Trainingsmöglichkeit für unsere Hunde. Beim Zoo Duisburg haben wir Helmut Törkel und seine Zoo Malamuten kennengelernt und zusammen einfach 3mal in der Woche auf dem Zoogelände trainiert. Schon bald züchteten wir eigene Huskys für unser Nettetaler Rennteam. Leider gab es zu dieser Zeit noch nicht sehr viele Rennen in Deutschland.  Wir hatten uns entschlossen auch Rennen in Deutschland anzubieten und wurden 1977 Mitbegründer des Bezirksverbandes DCNH (Deutscher Club nordischer Schlittenhunde) Wir haben mit der Gründung der Gruppe das erste Off-snow Rennen in Nettetal Deutschland organisiert. So gesehen ist Nettetal einer der historischen Orte im Schlittenhundesport. Mit dem Highlight der deutschen Meisterschaft 1978 in Toodmoos ging es dann weiter auf die Rennen in ganz Europa. Wir züchteten ausschließlich mit den eigenen Hunden und waren sehr erfolgreich mit den Teams aus der eigenen Züchtung. Im Schnitt hatten wir immer etwa 25 Hunde bei uns. Mit dem Anspruch in Deutschland mehr Trainingsangebote zu schaffen,  haben wir im Tannheimer Tal regelmäßig Schlittenhundetrainingscamps angeboten.  Die schönste Schlittenhundezeit hatten wir In den 1990  Jahren in Skandinavien wo wir trainiert und Rennen gefahren haben. Mitte der 90er kamen die ersten Alaskan Hounds zu uns. Grund dafür waren die Entwicklungen im Rennsport. In der Kurz,-und Mitteldistanz waren die Huskys nicht mehr konkurrenzfähig. Die erste Leaderin Screamy haben wir aus den USA/Alaska von einem Spitzenmusher gekauft. Wir ließen Sceamy von einem  tollen Rüden aus der George Attla decken. Danach folgten einige starke Würfe. Sie zeigten sich als schnellstes Hundeteam in der deutschen Mitteldistanz. Mein stärkstes Team hatte ich dann mit Ende der 90er zusammen. Das Team war stark genug, um auf der Europameisterschaft in Lillehammer gegen die ganz großen Namen der Rennszene zu fahren.

Wer sind die großen Vorbilder im deutschen Schlittenhundesport?
Sehr beeindruckend war sicher die Entwicklung von Rudi Ropertz, den ich von Beginn an begleiten durfte. Ein absoluter Vollblutsportler, der mit seinen Hunden hervorragendes geleistet hat. Auch zu Heini Winter, Ulli Kuhn, Egil Ellis, Peter Fromm und vielen anderen Mushern bestehen noch heute enge Freundschaften. Insbesondere von Heini Winter konnte ich viel lernen und das Wissen bei meinen eigenen Hunden umsetzen. Ich beobachte die Entwicklungen im deutschen Schlittenhundesport mit Interesse. Im Rennsport sind wir noch gelegentlich mit unserem ARION Funteam unterwegs. Heute widmen wir uns der Aufzucht der Welpen von Heini Winter und unterstützen das ARION Canicross Team Nettetal.  Viele Hunde wie unsere Cora, die schon mit Heini Winter in den USA erfolgreich im Lead gelaufen ist oder der in der Szene sehr bekannte Aldi leben heute bei uns und genießen ihre Rente. Starke Hunde, die es nicht oder nicht mehr in der ersten Liga laufen, sind überwiegend von Heini Winter und Ulli Kuhn. Sie trainieren in unserem Funteam immer noch 3mal in der Woche und starten bei der deutschen Meisterschaft des VDSV.

Mit dem ARION Team Nettetal unterstützen wir junge Sportler, die sich für den Zughundesport begeistern. Sie profitieren sehr von dem Wissen der Altmusher. Meine Leithündin Wuschi konnte 2012 mit der Nettetaler Läuferin Nina Windhausen den deutschen Meistertitel in der offenen Frauenklasse erkämpfen. Einige meiner Hunde waren auch bei der ECF EM 2012 in England dabei. Auch das Spitzenevent Trophee des Montagnes in den französischen Alpen haben meine Hunde 2013 mit den Sportlern gelaufen. Das  Wuschi, Emma, Lupo und Yaris die brutalen Trails über 60km in 10 Etappen meistern, wusste ich. Zweifel hatte ich, ob es die Läufer schaffen, in den Alpen die Hunde zu führen. So war ich mehr als beeindruckt, in welchem Tempo die Trailspezialisten mit ihren Hunden in den Bergen arbeiten. Sie laufen ihre Etappen nicht- sie sprinten. Ich habe Lauftrainer, ein Orga Team und Sponsoren gewinnen können, um wieder ein tolles Rennen in meiner Heimat Nettetal den ARION Cup veranstalten zu können.

Was sind deine schönsten Erinnerungen mit deinen Hunden?
Sehr dankbar bin ich, dass meine Frau Gisela mein Hobby teilt und auch erfolgreich im Schlittenhundesport gefahren ist. So haben wir zusammen die Zeit im Tannheimer Tal sehr genossen. Die Touren mit unseren Hunden in schwedisch Lappland waren auch sehr beeindruckend. Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer ist unbeschreiblich intensiv.

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War die Zeit in der skandinavischen Wildnis nicht auch gefährlich?
In der Wildnis gibt es unberechenbare Situationen. So bin ich einmal weit von unserer Unterkunft entfernt mit Gespann, Hunden und meiner Frau Gisela in einem Fluss eingebrochen. Wir hatten Glück, dass es nur gefrorenes Oberflächenwasser war und die tragende Eisschicht noch darunter war. Trotzdem war es enorm anstrengend, das Gespann in den nassen Jacken aus dem Fluss zu ziehen und die sichere Unterkunft zu erreichen. Ohne unsere Hunde hätten wir das wohl nicht geschafft.

Wie bewertest du die Entwicklung des Schlittenhundesport in Deutschland?
Neben Beruf und Familie den Hunden gerecht zu werden wird immer schwerer. Dazu kommen Jahre mit Schneemangel, die hohen Kosten für Futter und Equipment und eine  fehlende Lobby des Zughundesports in vielen kommunalen Verwaltungen macht es den Mushern nicht leichter den Schlittenhundesport intensiv zu betreiben. Gelegentlich wird gescherzt, dass Musher der offenen Klassen entweder Millionäre oder Bettler sind. Irgendwie entspricht das auch meinen Erfahrungen. Die Tendenz geht daher auch eher auf die Einzelhundkategorien und die kleineren Gespanne. Das ist für die meisten Hundefreunde der Einstieg in unseren Sport. Wer hier von der Begeisterung „Zughundesport“ angesteckt wird, schafft es auch schon mal in die größeren Gespannklassen. Die finanzielle Unterstützung durch Sponsoren im Zughundesport ist unabdingbar, aber leider aktuell eher rückläufig. Wir brauchen attraktive Events die Zuschauer und Hundefans begeistern können. Dazu gehören die optisch wunderschönen reinrassigen Gespanne, die offenen großen Gespanne, die schnellen Hounds und auch die Canicross Einzelkategorien mit den sportlichen Haushunden. Wenn die Veranstalter es schaffen die Qualität und der Rennen on Top zu halten, wird es auch wieder Unterstützungen durch die Wirtschaft und Kommunen geben.

Hat auch der Leistungssport im Zughundesport seine Berechtigung?
Leistungsvergleiche sind natürlich und gehören sowohl bei den Menschen und Hundegruppen einfach dazu. Rangfolgekämpfe gehören bei Hunden zur sozialen Orientierung. Gemeinsames Jagen gehört zum Existenz sichernden Verhalten. Diese veranlagten Triebe werden auch im Rennen befriedigt. Gefahren sehe ich bei einem starken Ehrgeiz der Musher. Wichtig ist der Vernünftige und respektvolle Umgang mit den Hunden. Das ist es, was einen guten Musher ausmacht.

Gehören die neuen Trends wie Canicross in die Welt der Schlittenhunde?
Canicross ist Zughundesport hat meine Frau Gisela schon vor 30 Jahren mit unseren Hunden gemacht. Insoweit ist es keine neue Trendsportart. Neu ist lediglich die Entwicklung im Rennsport und in der Entwicklung des Equipments. Sicher ist es etwas anderes ein Schlittenhunderudel zu trainieren, ein großes Team zu Formen und im Wettkampf zu fahren. Der Canicross hat aber auch seine Besonderheiten.  So bringt der Musher eine beachtliche eigene Laufleistung mit ein und das Hunde/Menschteam arbeitet eng zusammen. Die beiden Zughundesportarten sind nicht direkt vergleichbar, haben aber auch viele Gemeinsamkeiten im Umgang mit dem tierischen Partner.

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Was sind deine persönlichen Wünsche für die Zukunft im Schlittenhundesport?
Aufgrund meines fortgeschrittenen Alters hat sich eine gewisse Gelassenheit und Ruhe im Schlittenhundesport breit gemacht. Ich werde jetzt lediglich noch einige lockere Rennen mit meinen Hunden angehen und mein Wissen an die jungen Hundesportler der Region weitergeben und natürlich unser eigenes Rennen den ARION Cup Nettetal unterstützen.  Was aber jeder im Schlittenhundesport verinnerlichen sollte ist: Das wichtigste am Hundesport ist der Hund. Mit diesen zusammen zu Arbeiten ist das, was den Sport ausmacht.

Autor: Ingo Babbel (www.canicross-nrw.de)

 

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